Die verschiedenen Stationen in meinem Leben

Früh haben meine persönlichen Probleme in Form einer gewissen depressiven Grundhaltung bei mir eine Bereitschaft entwickelt, mich radikaleren Experimenten zuzuwenden. Schon während meiner letzten Schuljahre habe ich mich gewundert, wie es Menschen möglich ist, in dieser schwierigen Welt ein normales bürgerliches Leben zu führen, also einen Beruf zu lernen, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Die Zuflucht ins Haschrauchen während der letzten Schuljahre hat die Probleme nicht gelöst sondern natürlich verschlimmert. Das Lesen von psychologischer Literatur nach dem Abitur führte mich über Freud zu Wilhelm Reich. In meiner dänischen Zeitung las ich eine Anzeige über ein Wochenendseminar, wo es darum ging, Wilhelm Reich praktisch umzusetzen. Daraus wurde mein Einstieg in die Mühl Kommune.

Zu diesem Zeitpunkt Mitte 1978 hatte die Bewegung seit 1,2 Jahren ihre besonders ideologische Phase der AAO (Aktionsanalytische Organisation) hinter sich gelassen, war das Gemeinschaftseigentum aufgehoben worden. Treu dem Motto von Wilhelm Reich, der den Ursprung der Neurosen auf eine durch die Kleinfamilie fehlgeleitete Sexualität zurückführt, war die normale Zweierbeziehung in der Kommune nicht gewünscht. Durch den Leiter Otto Mühl, ein international anerkannter Künstler des Wiener Aktionismus, wurde außerdem der Weg Kunst als Therapie geprägt. Tägliches Training im Ausdruck, Malerei und Tanz, dienten dazu, sich frei in den Emotionen zu bewegen, ohne sich durch den gedanklichen Zensor einschränken zu lassen. Für mich waren die fünf Jahre in der Mühlkommune eine sehr wichtige Lehrzeit, in der ich kurioser Weise auch zu meiner Tätigkeit in der Immobilienbranche gekommen bin. Eigentlich hat mich das Geld verdienen nie interessiert, für mich stand immer Persönlichkeitsentwicklung und damit auch die Lösung meiner und der sozialen Probleme in unserer Gesellschaft im Vordergrund. In der Mühlkommune war es, als ob man in einer völlig anderen Kultur leben würde, eine Art Stammesleben in der Neuzeit. Wir haben jeden Abend zusammen gesessen und das Forum praktiziert, teilweise am Friedrichshof der Zentrale am Neusiedler See mit bis 200 Menschen. Es war jeden Abend spannender wie ein Krimi. Leider fiel die Bewegung nach ein paar Jahren wieder in ideologischere Strukturen zurück, nachdem neue Strömungen nicht aufgegriffen werden konnten. Die Integration der neu entstandenen guten Verdiener in der Finanz- und Immobilienbranche wurde nicht geschafft. Es wurde wieder das Gemeinschaftseigentum eingeführt und eigene Immobilien- und Finanzbetriebe gegründet um an das Geld ranzukommen, anstatt aus dem Bereich wieder auszusteigen. Außerdem war die Struktur nicht mehr durchlässig, wurden die Begabtesten nicht mehr hochgelassen (der Untergang jeder Firma, Gruppierung oder Gesellschaft). Früher oder später hätte Otto Mühl die Führung an jüngere aufstrebende Kräfte übergeben müssen und den Schritt hätte er sicherlich nie geschafft. Ich konnte deutlich die Fehlentwicklungen erkennen und stieg Anfang 1984 aus der Bewegung aus. Danach muss es schlimm bergab gegangen sein, zuletzt haben Otto Mühl und die Führungsclique offensichtlich wie ein Diktator in einer Bananenrepublik geherrscht. Zum Schluss Anfang der neunziger ist er für 6 Jahre im Gefängnis gelandet, weil er trotz mehrfacher Warnungen drauf bestand, die in die Pubertät kommenden Mädchen in die Sexualität einzuführen. Ein tragisches Ende für ihn, wie es so manchen genialen Menschen ereilt hat. Ich betrachte es als eine typische Entwicklung für erste Gemeinschaftsexperimente. Sowohl die Führung als auch die Mitglieder sind noch nicht reif genug, die einen heben ab, die anderen bewundern zu sehr, werden kritiklos. Trotzdem hat die Mühlkommune mit der Entwicklung des Forums die Gemeinschaftsscene in Deutschland sehr geprägt. Dieter  Duhm, der ca. 1 Jahr Mitglied der Kommune war, hat das Forum von der Kommune übernommen und über die Gründung der ZEGG Gemeinschaft in Belzig bei Berlin und Tamera in Portugal verbreitet.


Der Ausstieg aus der Mühl Kommune war für mich unheimlich schwierig. Ein Jahr mit heftigen Depressionen habe ich gebraucht um endlich den Schritt des Ausstiegs aus der Gemeinschaft zu vollziehen. In dieser schwierigen Situation wurde ich auf der Straße angesprochen, ob ich einen Persönlichkeitstest machen möchte. Damals war Scientology noch nicht so bekannt. Ich brauchte dringend Lösungen und so begann ich mit Scientology. In den ca zehn Jahren meiner Zugehörigkeit habe ich ungefähr einmal im Monat gedacht: "Moment mal, ich bin doch wieder in einer Sekte gelandet. Aber der Gedanke hat nicht ausgereicht um auszusteigen um das Gebilde zu durschauen und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, ich kann immer noch etwas von Scientology lernen. Im Gegensatz zur Mühlkommune ging es um die Logik, um den Verstand und um das Freilegen der Kraft des Willens, darum das Verhalten vom Irrationalen zu befreien, während es bei Mühl eher darum ging, das Irrationale (das Emotionale, Künstlerische) vom Verstand zu befreien. Auf verschiedenen Gebieten habe ich von Scientology gelernt, eine gründliche Therapie und therapeutische Ausbildung erhalten und erfahren wie man immer wieder in die eigene Kraft findet, sich neu auf die eigenen Ziele zentriert. Auch die Managementausbildung war sehr überzeugend, hat mir geholfen meine Immobilienfirma auf ca. 100 Mitarbeiter zu expandieren. Das Grundprinzip geht darum, eine Organisation so einzurichten und zu führen, dass jeder die höchstmögliche Eigenverantwortung für seinen Bereich bekommt und so wenig wie möglich von oben eingegriffen wird. Und alle Entscheidungen werden nach dem Konsensprinzip getroffen. Dies steht in einem gewissen Widerspruch zu den negativen Auswirkungen der Bewegung (starke ideologischen Grundstruktur, gesellschaftliche Abschottung und meist hohe Verschuldung der Mitglieder). Das hängt damit zusammen, dass die Scientology Organisationen sehr zentralistisch gesteuert werden und diese Managementprinzipien von Hubbard in Form von höchstmöglicher Eigenverantwortung und Konsensentscheidungen nur zu einem geringen Teil  angewendet werden. 

Nach einer längeren Zusammenarbeit mit der Leiterin der Scientology Organisation in Hamburg, Wiebke Hansen, musste ich erkennen, dass die vielen finanziellen Unterstützungen, die ich der Organisation zukommen ließ, der Bewegung nicht geholfen sondern eher geschadet haben. Es entstand auch viel Wirbel in den Medien. Die Öffentlichkeit hat irgendwie gemerkt, dass hier nur etwas mit viel Kapital angeschoben wird und nicht aus eigener Kraft wächst. Ein Rieseneklat im Frühjahr 1995 beendete dann diese 5 Jahre Zusammenarbeit mit Wiebke und war der Beginn meines Ausstieges aus Scientology. Dieser war nicht ganz so schwierig wie bei der Mühlkommune, weil ich schon über mehr Lebenserfahrung verfügte und die Fehler im System leichter durchschauen konnte, nachdem ich das Gefühl hatte bei Scientology nichts mehr lernen zu können. Völlig einfach war der Ausstieg trotzdem nicht, musste ich mich immer wieder neu mit Zweifeln auseinandersetzen, ob mein Gehen wirklich richtig ist. Ich habe auch gestaunt, wie viel Zeit es gebraucht hat um mich innerlich von den Denkstrukturen von Scientology zu befreien. Die Organisation hat sich mir gegenüber relativ tolerant verhalten auch weil sie Angst hatte, ich könnte als bekanntes Scientology Mitglied meine Story an die Medien verkaufen. Daran hatte ich aber kein Interesse, wird doch vor Scientology bereits genügend in den Medien gewarnt.

Die nächsten Jahre folgte eine Zeit intensiven Studiums der psychologisch/spirituellen Literatur, um das nachzuholen, was ich in den Jahren von Kommune und Scientology nicht mitbekommen hatte. Zusätzlich habe ich mich intensiv mit verschiedenen Richtungen/Methoden auseinander gesetzt, in erster Linie mit Tantra, Biodanza und der Psycholyse. In diversen Abend- und Wochenendkursen und insgesamt vier Jahrestrainings bei verschiedenen Tantra Instituten in Deutschland habe ich mich intensiv mit Tantra auseinander gesetzt, wenig später folgte dann Biodanza. Fast parallel entstand die Begegnung mit Samuel Widmer, der Psycholyse und der Kirschblütengemeinschaft in der Nähe von Solothurn/Schweiz. Ich habe bei ihm und seiner Frau Danièle Nicolet Widmer viele Seminare besucht und die 3jährige psycholytische Ausbildung absolviert. Durch diese Arbeit habe ich angefangen mich mit den schwierigen Gefühlen, wie Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, Getrenntsein etc. auseinanderzusetzen. Ungefähr 2 Jahre habe ich außerdem zeitweise in der  Gemeinschaft gelebt bis ich mich im Frühjahr 2005 verabschiedet habe. Mir waren Samuel Widmer und seine Frau Danièle zu dominant, ich hatte die Gemeinschaftsbildung kennen gelernt, wollte eine „group of all leaders“ verwirklichen.


Götz Brase 2015  


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